Barrierefrei im Digitalen
Digitale Barrierefreiheit fußt auf verschiedenen Rechtsquellen. Die Rechtsquellen unterscheiden in ihrem Verpflichtungscharakter nach
- Vereinen und Privatpersonen,
- kleinen und mittleren Unternehmen,
- großen Unternehmen (BfSG)
- und Verwaltungen (NBGG und NBITVO).
Darüber hinaus regelt das Völkerrecht in Form der UN BRK universelle Verpflichtungen.
UN BRK
Die UN BRK nennt in Artikel 2 zwei zentrale Konzepte, die auch die Gestaltung des digitalen Raums betreffen:
- universelles Design
- angemessene Vorkehrungen
Universelles Design heißt: Produkte, Umfelder, Programme und Dienstleistungen sind derart gestaltet, „dass sie von allen Menschen möglichst weitgehend ohne eine Anpassung oder ein spezielles Design genutzt werden können. [Das] schließt Hilfsmittel für bestimmte Gruppen von Menschen mit Behinderungen, soweit sie benötigt werden, nicht aus“ [ebd.]
Universelles Design = „Design für Alle“
Angemessene Vorkehrungen meint: „notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie […] erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt […] alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können“ [ebd., eig. Hervorhebung].
Barrierefreiheit als Qualitätsmerkmal ist oft dann ein Kostentreiber, wenn sie nicht nachhaltig, also von Beginn an mitgedacht und iterativ ist.
Barrierefreiheit im Digitalen ist in der UN BRK konkret benannt in: Artikel 9 Abs. 2g, Artikel 21, Artikel 24 Abs. 3, Artikel 25, Artikel 27 Abs. 1i, Artikel 29, Artikel 30
Wichtige Begriffe digitaler Barrierefreiheit
Assistive Technologien
Das sind Lösungen für Soft- und Hardware, die es Menschen mit Behinderungen ermöglichen, digitale Angebote wie Software, Apps und Webseiten zu nutzen (BMI 2025).
Menschen mit Beeinträchtigung des Sehens oder Blindheit nutzen vielleicht
- Sprachausgabesoftware (z.B. Screenreader, Vorlese-Tools)
- Vergrößerungssoftware
- Braille-Zeilen für die Ausgabe der Information in Punkt-Schrift
Menschen mit Beeinträchtigung der Motorik bevorzugen vielleicht
- Spracheingabesoftware
- Mouse-Alternativen (z.B. Augensteuerung, Taster/Schalter)
Menschen mit Hörbeeinträchtigung und Taubheit nutzen vielleicht
- Gebärdensprachverdolmetschung
- SDH-Untertitelung
- Schriftverdolmetschung
UX Design und Usability
Beide Begriffe kommen aus Bereichen, die nicht vorrangig an Barrierefreiheit geknüpft sind. Usability hat im Kontext von digitaler Barrierefreiheit eine besondere Bedeutung:
Wenn wir alle erreichen wollen, müssen wir auch alle mitdenken.
User Experience Design (UX Design) oder User-Centered Design nimmt die Nutzenden mit ihren Bedürfnissen, Erwartungen und Zielen in den Blick. Es geht dabei darum, interaktive Systeme so zu gestalten, dass Nutzende ein möglichst gutes, effizientes und angenehmes Erlebnis mit diesen haben. Interaktives System meint: Mensch > Produkt, Mensch > Dienstleistung, Mensch > System
UX Designende setzen sich mit den Zielgruppen auseinander: Sie entwickeln Ideen und Prototypen, testen und optimieren und entwickeln diese weiter.
Usability – Benutzerfreundlichkeit ist ein wichtiger Aspekt des UX-Designs: Es geht hierbei um die optimale Nutzungserfahrung einer definierten Gruppe. Die Benutzerfreundlichkeit kann auf bestimmte Gruppen oder Anwendungsfälle ausgerichtet sein. Im Fokus stehen Tests, Nutzerforschung und iteratives Design.
Es wird also so lange getestet und optimiert, bis die Interaktion zwischen Mensch und Produkt oder Dienstleistung oder System stimmt.
Rechtliche Grundlagen
Verschiedene Gesetze, Verordnungen, Normen und Standards regeln verpflichtende Umsetzungen barrierefreier IT Produkte. Konkrete Informationen finden Sie auf der Seite: Barrierefreie IT Niedersachsen.
kurz & kompakt
Auf Landesebene für die Verwaltungen, also für Niedersachsen, gelten das NBGG und die NBITVO.
NBGG
Im Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetz sind die Verpflichtungen in den §§ 9 und folgende verankert. Sie gelten seit 25. Oktober 2018. Damit öffentliche Stellen diese Vorgaben einhalten, wurde eine Überwachungsstelle eingerichtet.
Die Überwachungsstelle Barrierefreie IT Niedersachsen prüft, ob sich öffentliche Stellen in Niedersachsen an die Vorgaben halten. Aber: Nutzende können Webbarrieren auch selbst melden. Sind Elemente einer Website nicht barrierefrei, so können Nutzende die öffentliche Stelle darüber informieren. Die öffentliche Stelle kann dann auf die gemeldete Barriere reagieren und das Problem lösen.
Ist eine öffentliche Stelle nicht in der Lage, eine Webbarriere aufzulösen, können sich Nutzende im nächsten Schritt an die Schlichtungsstelle wenden.
Die Schlichtungsstelle ist eingerichtet bei der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen in Niedersachsen. Dort können Nutzende einen Antrag für ein Schlichtungsverfahren stellen: Hat eine öffentliche Stelle nicht innerhalb einer bestimmten Frist auf eine gemeldete Webbarriere reagiert, hilft die Schlichtungsstelle weiter. Sie dient dazu, den Streit zwischen Nutzenden mit Behinderungen und öffentlicher Stelle beizulegen.
NBITVO
Die Niedersächsische Verordnung über barrierefreieInformationstechnik öffentlicher Stellen regelt die Anforderungen an digitale Barrierefreiheit. Die NBITVO konkretisiert die Anwendung des NBGG auf die IT öffentlicher Stellen in Niedersachsen.
NBGG und NBITVO beziehen sich bei der Gestaltung barrierefreier Web-Inhalte auf die WCAG und die EN 301 549. Beide bilden die Grundlage für das niedersächsische Gesetz und geben vor, wie barrierefreie Web-Angebote öffentlicher Stellen umzusetzen sind.
WCAG
Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) sind wie ein internationaler Regelkatalog zur barrierefreien Gestaltung von Web-Inhalten. Der Katalog hat 4 Prinzipien, denen 13 Richtlinien und 86 Erfolgskriterien zugeordnet sind:
Digitale Angebote öffentlicher Stellen in Niedersachsen müssen den 4 Prinzipien für Barrierefreiheit folgen, das sind:
- wahrnehmbar
- bedienbar
- verständlich
- robust
wahrnehmbar > Wahrnehmungsbarriere & Medienbarriere
Medium und Inhalt sind nach dem Zwei-Sinne-Prinzip, also multimodal und multicodal aufzubereiten:
Mehr-Sinne-Prinzip, zielgruppengerechte Sprache, Responsive Design mit Zoom-Funktion und Kontrastmodus, Großdruck, Sprachsteuerung, Tastatur-Steuerung, Mund-Maus-Steuerung etc.
bedienbar > Motorikbarriere & Medienbarriere
Der physische Zugang zu Informationen ist so zu gestalten, dass das Bedienen von Geräten, das Navigieren auf Webseiten oder das Ansteuern von Objekten für alle Nutzenden möglich ist. Medium und Inhalt sind multimodal und multicodal, also nach dem Zwei-Sinne-Prinzip gestaltet, es gibt ausreichend Zeit:
Mehr-Sinne-Prinzip, zielgruppengerechte Sprache, Augensteuerung, Mund-Maus-Steuerung, Sprachsteuerung, Tastatursteuerung, Oberflächenstruktur, Responsive Design mit Zoom-Funktion und Kontrastmodus etc.
verständlich > Fachbarriere, Fachsprachenbarriere, Sprachbarriere, Kulturbarriere, Kognitionsbarriere, Wahrnehmungsbarriere, Emotionsbarriere
Informationen sollten gut lesbar, leicht verständlich und gut strukturiert sein. Fachliche Begriffe sollten erklärt, Abkürzungen ausgeschrieben oder eingeführt sein. Die Inhalte sollten laiengerecht dargestellt, niedrigschwellig und im Ton angemessen sein:
Advance Organizer (Orientierungshilfe), Dokumentenstruktur, Wissenspopularisierung, Lokalisierung, zielgruppengerechte Sprache, Einfache Sprache, Leichte Sprache, Mehr-Sinne-Prinzip, Visualisierung, Beispiele und/oder Erklärungen, Glossar, Farbcodierung, Gebärdensprache, Untertitelung, Audiodeskription, etc.
robust >
hohe Kompatibilität der bereitgestellten Inhalte mit vielen Webbrowsern (Benutzeragent) und verschiedenen assistiven Technologien. Auf korrekte Syntax, also die semantische Auszeichnung aller Inhalte, ist zu achten (z.B. einheitliche Nutzung von HTML).
Mehr Informationen finden Sie in dem PDF Broschüre Barrierefreie IT – Ein Einstieg auf der Internetseite vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung.
EN 301 549
Die europäische Norm EN 301 549 definiert Anforderungen an die Barrierefreiheit der Informations- und Kommunikationstechnik öffentlicher Stellen. Es geht dabei um das Web, Soft- und Hardware, mobile Anwendungen und Dokumente.
BFSG
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist auf Bundesebene angesiedelt und betrifft die Privatwirtschaft. Mehr Informationen finden Sie hier: Bundesfachstelle Barrierefreiheit.
Damit das BFSG umgesetzt wird, richten die Länder jetzt eine gemeinsame Stelle ein: Die Marktüberwachungsstelle der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen, kurz MLBF.
Weitere Informationen
Mehr Informationen zu digitaler Barrierefreiheit finden Sie bei verschiedenen Stellen: