LBB

„Gesundheitsversorgung für Menschen mit Behinderungen verbessern!“

Die Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen von Bund und Ländern formulieren gemeinsame Düsseldorfer Erklärung

Ausgabejahr 2019
Datum 26.03.2019

„Gesundheitsversorgung für Menschen mit Behinderungen verbessern!“

Niedersächsische Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Petra Wontorra: „Auch im Gesundheitswesen in Niedersachsen muss Barrierefreiheit gegeben sein. Menschen mit Behinderungen müssen denselben Zugang zu ärztlichen, pflegerischen und therapeutischen Maßnahmen haben wie alle anderen Menschen auch.“

Die Beauftragten von Bund und Ländern für die Belange von Menschen mit Behinderungen kamen in der letzten Woche in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen, zu ihrer halbjährlichen Konferenz zusammen. Gemeinsam erklären die Beauftragten: „Die UN-Behindertenrechtskonvention, die in diesem Monat seit zehn Jahren in Deutschland in Kraft ist, schreibt in Artikel 25 den Menschen mit Behinderungen das Recht auf ein Höchstmaß an Gesundheit zu. Die Beauftragten erwarten, dass die Qualität der Versorgung von Menschen mit Behinderungen weiter gestärkt und Barrieren in Bezug auf gesundheitliche Einrichtungen und Dienste weiter abgebaut werden. Dabei muss der Schutz von Selbstbestimmung in gesundheitlichen Angelegenheiten für Menschen mit Behinderungen gestärkt werden. Ebenso muss der Zugang zu einer gesundheitlichen Versorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard wie bei jedem anderen Menschen gewährleistet werden."

„Haben alle Arztpraxen in Niedersachsen einen barrierefreien Zugang? Verfügen gynäkologische Praxen über einen Lifter oder über Untersuchungsmöglichkeiten, die auch für Menschen mit schwerer Körper- und Mehrfachbehinderung nutzbar sind? Ist eine spezialisierte Versorgung von erwachsenen Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen flächendeckend gewährleistet? Werden immer Assistenzleistungen während eines Krankenhausaufenthalts finanziert? Erhalten Menschen mit Behinderungen die angemessenen Vorkehrungen, die sie benötigen, um an Arztgesprächen teilhaben zu können? Ist der Einsatz von Tonübertragungsanlagen für schwerhörige Menschen (FM-Anlagen) bei Arztgesprächen oder von Gebärdensprachdolmetschenden gegeben? Gibt es Erläuterungen von Operationsabläufen in Leichter Sprache?" fragt Petra Wontorra kritisch. Antworten gibt es viele, aber sind diese zufriedenstellend?

Die Einrichtung von MZEBs, Medizinische Zentren für Erwachsene Menschen mit Behinderungen, in Niedersachsen ist ein wichtiger Schritt hin zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung. Jedoch sollte es diese Zentren als spezifische Ergänzung zur Regelversorgung auch im ländlichen Raum geben.

„Wichtig ist nach wie vor die Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fachkräften im Gesundheitswesen. Es müssen Schnittstellen gesehen und die Versäulung überwunden werden: Es bedarf einer besseren Kooperation zwischen dem Gesundheitssystem sowie der Behinderten- und Selbsthilfe", fordert Petra Wontorra die Verantwortlichen auf. „Das Ziel einer inklusiven Gesundheitsversorgung kann dann realisiert werden, wenn Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen abgebaut werden und der Blick hin zu einer auf Stärken und Potentiale ausgerichteten Sichtweise geschärft ist."

Düsseldorfer Erklärung der Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern

Gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen weiter verbessern!

Die Beauftragten des Bundes und der Länder für die Belange von Menschen mit Behinderungen setzen sich für eine an den Menschenrechten und der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ausgerichtete Politik in Deutschland ein. Während ihres 57. Treffens am 20. und 21. März 2019 in Düsseldorf haben sich die Beauftragten schwerpunktmäßig mit der Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen auf Bundes- sowie Landesebene befasst. Nach der UN-BRK haben Menschen mit Behinderungen das Recht auf ein Höchstmaß an Gesundheit (Artikel 25); dieses umfasst etwa den Schutz von Selbstbestimmung in gesundheitlichen Angelegenheiten sowie den Zugang auf eine gesundheitliche Versorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard wie Menschen ohne Behinderungen. Dies gilt ausdrücklich auch für geflüchtete Menschen mit Behinderungen.

Die Beauftragten erwarten, dass 10 Jahre nach Ratifizierung der UN-BRK die Qualität der Versorgung von Menschen mit Behinderungen weiter gestärkt und Barrieren in Bezug auf gesundheitliche Einrichtungen und Dienste weiter abgebaut werden. Ziel muss eine inklusive Gesundheitsversorgung sein.

Die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern fordern deshalb:


Barrierefreiheit als Standard im Gesundheitswesen

Umfassende Barrierefreiheit ist unabdingbar für ein erfolgreiches Gelingen der Inklusion. Die Barrierefreiheit muss weiter ausgebaut und die Gewährung angemessener Vorkehrungen nach der UN-BRK sichergestellt werden. Im öffentlichen Bereich und im Gesundheitswesen muss Barrierefreiheit zum Standard werden. Dazu zählen auch eine barrierefreie Ausstattung, eine Notruf-App für Menschen mit Sinnesbehinderungen, die Berücksichtigung des Zwei-Sinne-Prinzips und der Leichten Sprache bei der Kommunikation mit Patientinnen und Patienten sowie die Bereitstellung der im Einzelfall erforderlichen Kommunikationshilfen. Die Finanzierung von Gebärdensprachdolmetschern und Kommunikationshilfen ist unkompliziert zu gewährleisten. Auf Dauer darf es nur noch Apotheken, Arzt- und therapeutischen Praxen sowie Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen geben, die barrierefrei sind. Übergangsweise sind geprüfte Informationen zur Barrierefreiheit an zentraler Stelle zu benennen. Wie im Koalitionsvertrag für die Bundesregierung angestrebt, soll die Verpflichtung zur Barrierefreiheit im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz erweitert werden - mit wirksamen ersten Schritten im Bereich Gesundheit.


Vergütung medizinischer Leistungen inklusiv ausrichten

Die Umsetzung von Barrierefreiheit in Praxen ist bei der Vergütung zusätzlich zu honorieren. Auch der behinderungsbedingte Mehraufwand bei der Versorgung muss in der Vergütung im Gesundheitswesen ausreichend abgebildet werden.


Spezialisierte Versorgung von erwachsenen Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen

Altersunabhängig haben Menschen mit intellektuellen Lernschwierigkeiten und komplexen Behinderungen oftmals einen besonderen medizinischen Versorgungsbedarf. Da sie eine erhöhte Häufigkeit sowohl für körperliche als auch für psychische Erkrankungen aufweisen, ist ihr Bedarf umfassender. Diagnostik und Therapie sind häufig sowohl schwieriger als auch zeitaufwändiger und erfordern nicht selten die Beteiligung und Absprache verschiedener Fachrichtungen sowie fundierte Kenntnisse. Bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres steht dieser Personengruppe und ihren Familien die medizinische Versorgung in den Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) offen. Danach sind diese Menschen und ihre Familien in der Regel auf ambulante medizinische Behandlung angewiesen. Diese ist jedoch nicht explizit auf die Belange dieser Personengruppe ausgerichtet. Die Beauftragten fordern daher einen zügigen flächendeckenden Auf- und Ausbau der Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit intellektuellen Lernschwierigkeiten und komplexen Behinderungen (MZEB), als spezifische Ergänzung der medizinischen Regelversorgung.


Finanzierung von Assistenzleistungen während eines Krankenhausaufenthalts

An die Beauftragten wurde herangetragen, dass Menschen mit Behinderungen und Assistenzbedarf notwendige Krankenhausaufenthalte wegen der nicht sichergestellten Assistenzversorgung vermeiden. Dies zieht z.T. schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich. Betroffen sind insbesondere gehörlose und blinde Menschen ebenso wie Patientinnen und Patienten mit komplexen körperlichen Beeinträchtigungen oder Lernschwierigkeiten. Die Beauftragten halten es für notwendig, Regelungen zu finden, eine Finanzierung von Assistenzleistungen auch während eines Krankenhausaufenthalts zu ermöglichen. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass nur Menschen mit Behinderungen, die ihre persönliche Assistenz im sogenannten Arbeitgebermodell organisieren, ihre Assistenz ins Krankenhaus mitnehmen dürfen bzw. finanziert bekommen. Menschen mit Behinderungen, die ihre Assistenz jedoch im Wege der Sachleistung und nicht als Arbeitgeber organisieren, ist die Möglichkeit der begleitenden Assistenz im Krankenhaus derzeit nicht möglich. Eine Anpassung der Regelungen über Assistenz im Krankenhaus ist mit Blick auf die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention dringend geboten.


Aus- und Fortbildungen für die Gesundheitsberufe

Ärztinnen und Ärzte sowie das medizinische Personal sind häufig noch nicht mit der Deutschen Gebärdensprache, der Leichten Sprache oder anderen speziellen Kommunikationsmöglichkeiten vertraut. Nicht selten haben Ärztinnen und Ärzte sowie das medizinische Personal Wissenslücken und Vorbehalte gegenüber dem Umgang mit Menschen mit Behinderungen. Die Beauftragten fordern daher, dass in der Aus- und Fortbildung des medizinischen Personals das Bewusstsein für die Menschenrechte, die Würde, die Autonomie und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen verbindlich berücksichtigt werden.


Verbesserung der Kooperation der Krankenhäuser mit den Systemen der Selbsthilfe und Selbstvertretungen

Die Beauftragten stellen fest, dass bei der Vernetzung zwischen Fachkräften und Selbsthilfe im Krankenhaus Lücken bestehen und es an einer strukturierten und systematischen Zusammenarbeit, z. B. auch im Rahmen des Entlassmanagements, mangelt. Es fehlt eine Selbstverständlichkeit von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal sowie dem Sozialen Dienst, Patientinnen und Patienten auf Angebote der Selbsthilfe und der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatungsstellen hinzuweisen. Dabei sollen auch Angebote der Selbsthilfe im Bereich Psychiatrie-Erfahrung einbezogen werden. Der Zugang der Selbsthilfe- und Selbstvertretungsorganisationen zu den Krankenhäusern soll gewährleistet werden. Sie sind von Anfang an in die Krankenbehandlung einzubeziehen.

Eine barrierefreie, inklusive und interdisziplinäre Gesundheitsversorgung ist Grundlage für Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe in unserem Land.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz

OK